«Ich bin es ge­wohnt, auf den fah­ren­den Zug auf­zus­prin­gen»

Seit Januar leitet Fathen Urso, Ingenieurin für Wasserbau, die SIA-Berufsgruppe Umwelt (BGU). In einem persönlichen Gespräch zeigt sie sich als Person mit vielfältigen Rollen, die mit Pragmatismus und Begeisterung daran arbeitet, Umweltthemen voranzubringen.

Date de publication
06-05-2025

Es ist brechend voll im Café des Berner Generationenhauses. Studierende, Pen­sionierte und Familien treiben den Lärmpegel hoch. «Dieses Haus ist für alle Generationen da», meint Fathen Urso fast schon besänftigend zu der aufgeladenen Stimmung. Es gelingt ihr sofort, eine angenehme Atmosphäre zu schaffen und ein ungezwungener Austausch kommt in Gang. 

Sie erzählt, dass ihre Wurzeln in Algerien und Solothurn liegen und sie in beiden Kulturen aufwuchs. Ihre berufliche Laufbahn startete sie hingegen in Zürich, bevor sie dann in die Westschweiz umgezogen ist. Heute lebt sie im Wallis. Bei «national und polyglott» punktet sie daher schon einmal. Für ihre Wahl zur neuen Präsidentin der BGU per 1. Januar 2025 war das sicher ein Vorteil. Dass dies aber nicht der einzige Trumpf war, der überzeugte, ahnt man schnell. 

Der Werdegang der Walliserin ist nämlich von einer grossen Bandbreite an Erfahrungen – sowohl im privaten als auch im öffentlichen Sektor – geprägt. So konnte sie sich einerseits ein fundiertes Fachwissen im Bereich Wasserbau aneignen und andererseits ein tiefgreifendes Verständnis für globalere Themen wie Nachhaltigkeit, Umgang mit Naturgefahren, Raumplanung und Innovation entwickeln. 

Das tun, wofür man brennt

Als Expertin für Wasserbau stiess Fathen Urso 2002 zunächst über die Sektion Waadt zum SIA. Dazumal hatte sie bereits zahlreiche Mandate für verschiedene Ingenieurbüros ausgeführt, hauptsächlich im Rahmen von Projekten zur Revitalisierung von Fliessgewässern und zum Hochwasserschutz – insbesondere erwähnt sie die dritte Rhonekor­rektion. 

Parallel dazu und aus dem Wunsch heraus, ihre Leidenschaft für Wasserbau an die kommenden Generationen weiterzugeben, unterrichtete sie fast 20 Jahre lang an der Hochschule für Wirtschaft und Ingenieurwissenschaften des Kantons Waadt (HEIG-VD, Haute Ecole d’Ingénierie et de Gestion). 

Dort leitete sie auch das Vorbereitungsjahr «Future ingénieure», das darauf abzielt, mehr Frauen für das Studium der Ingenieurwissenschaften zu gewinnen, und zwar vornehmlich durch Partnerschaften zwischen Unternehmen und der Schule. Bei ihrer vierten beruflichen Leidenschaft geht es um Staudämme – es ist das Lieblingsthema der Wasserbauingenieurin. 

Seit 2012 ist sie Mitglied des Schweizerischen Talsperrenkomitees, wo sie an der Entwicklung von bewährten Verfahren für Wasserkraftwerke im Hinblick auf die Bewirtschaftung von Stauseen mitwirkt.  «Jedes Mitglied verbreitet unsere Botschaft»

Und wie gestaltet sie ihre neue Aufgabe als Präsidentin der BGU? In dieser Funktion legt Fathen Urso Wert auf die Zusammenarbeit und ein gutes Miteinander: «Ich bin jemand, der gerne motiviert und den Teamgeist pflegt», sagt sie über ihren Führungsstil. Sie wünscht sich, dass die ganze Berufsgruppe eine gemeinsame Haltung einnimmt, denn sie ist überzeugt: «Jedes Mitglied der BGU verbreitet unsere Botschaft.» Und sie ist der Meinung, dass der SIA dank seiner Aktivitäten in den Bereichen Klima und Energie über ein grosses Potenzial verfügt, um eine gute Beziehung zu den Bundesbehörden aufzubauen. 

Der Verein sei in der Lage, diese Themen zu priorisieren und sie für eine effek­tive Umsetzung an die höchste Ebene heranzutragen. Fathen Urso ist sich durchaus bewusst, dass die entscheidenden Fragen im Umweltbereich bereits vor ihrer Präsidentschaft aufkamen, aber sie sagt, dass sie es gewohnt sei, auf den fahrenden Zug aufzuspringen. Dabei setzt sie auf die Professionalität der rund 780 BGU-Mitglieder, die konkrete Lösungen hervorbringt, um Fortschritte zu erzielen: «Die Berufsgruppe Umwelt befasst sich mit zentralen Zukunftsthemen, vor allem rund um den Klimawandel. Sie sind derart wichtig, dass wir unbedingt Lösungen finden müssen.»

Die Kunst der Überzeugung 

Ein Wort taucht während des Gesprächs immer wieder auf: Leadership. Für die neue BGU-Präsidentin soll Leadership inklusiv und inspirierend sein. «Wenn man führt, muss man wissen, wie man Menschen zusammenbringt, Prioritäten setzt und sich organisiert.» Trotz zahlreicher Engagements leitet Fathen Urso vor allem das Bauamt von Conthey. In dieser Funktion ist Leadership nicht nur bei der Führung ihres Teams, sondern auch beim Umgang mit politischen Akteuren von Vorteil. «Ich habe ein feines politisches Gespür, kann interpretieren, Stellungnahmen vorbereiten und mit den betreffenden Personen diskutieren.» 

Auch ihre langjährige Erfahrung als Lehrperson ist ein wertvoller Pluspunkt: «Da ich Pädagogin bin, weiss ich meine Vorschläge an die Zielgruppe anzupassen und kann sie entsprechend verständlich formulieren – es macht einfach keinen Sinn, einem politischen Publikum ein hochkomplexes technisches Projekt in jedem Detail zu präsentieren.» 

Für Fathen Urso ist die Nachhaltigkeit der Schlüssel zum Erfolg. Umwelt, Wirtschaft und Soziales sind die drei Säulen, auf denen sie ihre Argumente aufbaut, wenn es darum geht, ein politisches Projekt voranzubringen. «Ich versuche, dieses Prinzip in allen meinen Rollen anzuwenden – und in der Regel funktioniert es.»

Momente der Freiheit

Zu guter Letzt geht es noch um eine andere Rolle, die bisher unerwähnt blieb: die Mitgliedschaft im «Cercle Suisse des Administratrices», dessen Aufgabe darin besteht, sich für Vielfalt und Kompetenz in Führungsorganen, Verwaltungsräten und Geschäftsleitungen einzusetzen. Da stellt die Frage, wie das mit der BGU zusammengeht, die sich aus einer Mehrheit von Männern zusammensetzt. 

Fathen Ursos Antwort ist wohlüberlegt: Sie unterstütze verdienstvolle Frauen, deren Ambitionen leider noch immer an einer gläsernen Decke scheitern. Dennoch glaube sie an ein Zusammenspiel von Ideen und Austausch, bei dem Kompetenz und Motivation im Vordergrund stehen und nicht die Frage des Geschlechts.

Die Liste der beruflichen Rollen von Fathen Urso liesse sich zwar noch weiterführen, doch es wird Zeit für eine letzte persönliche Frage: Hat sie noch Zeit für sich selbst? «Das alles hält mich nicht davon ab, mit meinem treuen Shiba ‹Manga› spazieren zu gehen und danach meine Leidenschaft für Pferde beim Reiten voll auszuleben», antwortet sie begeistert und zeigt ein Foto ihres Vierbeiners, der sie gerne bei langen Spaziergängen begleitet. Es sind Momente der Freiheit – jedoch nicht völlig losgelöst von der Realität: «So bekomme ich wieder einen klaren Kopf.»

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