Ein ei­ge­ner Kos­mos

Ganz praktisch dreht sich im Hotel B5 in Lugano alles um einen guten Schlaf. Auf der Metaebene geht es um das Bewahren einer Geschichte und deren Fortführung in die Zukunft. Beides bedarf einer festen Umhüllung. Die bauliche Umsetzung durch DF_DC Architekten manifestiert sich in einem monolithischen Baukörper, der ein Sinnbild für den ressourcenschonenden Betrieb ist. 

Date de publication
12-05-2025

Als Quereinsteiger im Gastgewerbe haben sich die heutigen Besitzer auf die Suche nach einem Hotel begeben, das überschaubar und etabliert ist. Fündig geworden sind sie in Lugano. Seit 1923 besteht das Hotel bereits. Zwischen den 1950er- und 1970er-Jahren erhielt das Haus ein drittes Obergeschoss und eine Erweiterung um ein Gartenzimmer. 

In diesem Zustand haben die heutigen Eigentümer, eine Modedesignerin und ein Metallbauschlosser und Kunstschmied, das Hotel im Jahr 2013 übernommen, um es schrittweise auf seine wichtigste Funktion zurückzuführen: einen komfortablen Rückzug in gut erschlossener Lage. 

Der grosse Umbau fand zwischen 2022 und 2024 statt. Die jungen Architekten, die sich zeitgleich mit dem Umbau des Palazzo del Cinema in Locarno einen Namen machten, unterstützten die Bauherrschaft nicht nur bei der Erstellung des Businessplans. Mit Herzblut verfolgten sie die Umsetzung der Details und reagierten erfindungsreich auf das Vorgefundene. 

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Der gemeinschaftliche Transformationsprozess ist bis heute nicht abgeschlossen. Zurzeit wird der Garten gestaltet. Das Fundament, das einst den Baukran stützte und nicht demontiert wurde, mutiert zu Sitzbänken im Grünen. Das türkise Becken des alten Pools erhält eine Sprühnebeldusche, um das Wachstum des urwaldartigen Gartens und das sommerliche Klima für die Gäste zu erleichtern. 

Das Haus ist als eine private Umgebung auf Zeit gedacht. Anders als die meisten Hotels in Lugano trumpft das B5 nicht mit der Nähe zum Seeufer oder Weitblick auf, sondern verschreibt sich auch mit seinem Namen «B5» (für «Binario cinque», Gleis fünf) der Nähe zum Bahnhof.

Camouflage in Keramik

Die bauliche Entsprechung zum minimalistischen Konzept fanden die Architekten darin, den nicht geschützten Bestand auf einen Block zu verdichten. Konstruktiv stellte die Integration eines neuen Lift- und Treppenhauskerns den grössten Eingriff dar. Durch die aussen liegende Wärmedämmung rückt die Strassenfassade zur Baulinie vor. Im Gegenzug wurden die Balkone und ein Gartenzimmer rückgebaut. An die Stelle des Satteldachs ist ein weiteres Vollgeschoss getreten. 

Insgesamt wurden die Fensteröffnungen systematisiert und das Ganze mit einem genau bemessenen Kleid aus 44'000 Keramikplatten umhüllt. Der keramische Belag in einem sanften Grünton, der dem Haus ein abstraktes Erscheinungsbild verleiht, lässt Verbindungen zum Jugendstil oder zur Postmoderne Norditaliens anklingen und ist als zeitübergreifendes Gewand zu verstehen. Über Spiegelungen fügt sich das Hotel in die heterogene Umgebung.

Sinnlichkeit mit Augenmass

Im Innern haben die Planenden mit einem Wechselspiel aus so weit wie möglich erhaltenem Bestand und durchdachten Ergänzungen eine sinnliche Atmosphäre geschaffen. Der sorgsame Umgang mit Raum und Ressourcen steht im Vordergrund. 

Die öffentlichen Bereiche sind kompakt und so unerschrocken wie keck mit doppeltem Nutzen belegt: Die Rezeption besteht nur aus einem Schreibtisch am Eingang. Über eine App erledigen die Hotelgäste das Ankommen und Abreisen weitgehend autark. Der anschliessende «Salotto» ist gleichzeitig Aufenthaltsraum, Frühstücksraum und Arbeitszimmer.

Um dem Konzept des Hotels als «zweites Zuhause» zu genügen, sind diese Räume den Hotelgästen vorbehalten – die Geborgenheit hat hier einen höheren Stellenwert als die Kommunikation nach aussen. Das ausgesucht regionale Frühstücksbuffet wird im Flur zum Treppenhaus aufgebaut. Unkonventionell ist auch die Idee eines innen liegenden Fensters zur Küche, das sich bei Gelegenheit zu einem «Apéro-Kiosk» umfunktionieren lässt.

Die Einschnitte in die Substanz sind im Treppenhaus zur Schau gestellt und zeigen den wertschätzenden Umgang mit dem Vorhandenen. Die verschiedenen Steine in farblichen Nuancen von Grau bis Lachsrosa werden vom Sichtbetonkörper gefasst. So entfaltet sich in der brutalistischen Umgebung eine Poesie. 

Ungewohnte Standards

Entgegen der allgemeinen Tendenz, Hotelzimmer mit den immer gleichen kurzlebigen Möbeln auszustatten, haben die Architekten hier die individuelle Disposition der insgesamt 20 Zimmer zur Gestaltungsgrundlage erhoben, der sie mit grossteils organischen und naturbelassenen Materialien eine weitere Schicht zufügen. Deren Verarbeitung beruht auf traditionellen Techniken und genügt den Maximen der Bauteiltrennung.

Dabei wurde dem Komfort der Betten grösste Bedeutung beigemessen und die Innenarchitektur darum herum entwickelt. Voraussetzung für eine entspannte Nacht ist Ruhe – auch visuell. Indirektes Licht betont die umhüllenden Wände, die mit einem lehmfarbenen Putz behandelt sind. Damit die Oberfläche homogen erscheint, hat ein einzelner Handwerker die gesamte Ausführung verantwortet. 

Die Vorhänge aus Leinen nehmen den beigen Farbton auf, sind aber mit einer lichtundurchlässigen Schicht versehen, sodass sich das Zimmer rundum schliessen lässt. Der höhlenartige Raumeindruck wird von wenigen Einbauten aufgebrochen. Abgesehen von einzelnen Stühlen sind die Möbel entlang der Wände platziert. Als Träger dienen helle Kalksandsteine, als Platten stark gebürstetes, schwarz lackiertes Holz, das an die in Japan praktizierte Verwendung verkohlter Hölzer («Yakisugi») erinnert. 

Im Sinne der direkten Sichtbarkeit aller Bauteile wird die Lüftung nicht kaschiert, sondern erhält durch ein wandbreites, das Rasterthema der Fassaden aufnehmendes Gitter eine besondere Präsenz. Die Liebe zu industriellen Objekten setzt sich im Bad fort. Dass dadurch Armaturen aus Messing und verzinkte sowie schwarz eloxierte Beschläge mit verchromten Ventilen aufeinandertreffen, nehmen die Planer als Preis für die Angemessenheit, Bezahlbarkeit und Aufrichtigkeit der Materialien an. Vorteil dieser Elemente ist ihre Kreislauffähigkeit dank normierter Zusammensetzung. 

Facetten der Nachhaltigkeit

Den Gastgebenden ist es ein Anliegen, dass sowohl digitale Bewirtschaftung als auch energetische Versorgung dem neuesten Stand entsprechen. Temperatur, Verschattung oder Licht lassen sich vom Gast über Module und per App steuern. Ziel ist ein minimaler Verbrauch in einem ganzheitlichen Sinne. 

Mithilfe der Auslagerung bestimmter Serviceleistungen ins Digitale und durch den disziplinierten Umgang mit Raum ist auch der Personaleinsatz reduziert. Die Aufmerksamkeit für die Arbeitsqualität der Mitarbeitenden beginnt bei den für die internen Abläufe optimierten Wegen und führt bis zu einem Menschen und Umwelt schonenden Gebäudereinigungskonzept.  

Der Gast begibt sich in einen Kosmos, der von der Aussenwelt entkoppelt ist und in dem er sich selbständig bewegen kann. Die klar geordnete Raumfolge und das Ausklammern von Zusatzangeboten tragen zur Orientierung im Haus bei. 

Indem sich das Gastgeberpaar selbst von einer Präsenzpflicht entlastet, kann es den Gästen entspannt begegnen – auch das ist Teil eines energieschonenden, auf Langfristigkeit angelegten Prinzips. Die eingesparten Mittel fliessen in die Unterstützung regionaler Handwerker und Anbieter, die in den laufenden Betrieb des Hauses eingebunden sind. So entsteht eine gezielte Wertschöpfung. 

Zunächst ist ein Aufenthalt im guten Sinn gewöhnungsbedürftig. Es braucht Zeit, die mit der Digitalisierung verbundenen Vorteile zu begreifen. So ist zum Beispiel über die Hotel-App der Zugang zum Gepäckraum am Abreisetag noch bis Mitternacht gegeben. Und indem die Türen über Apps zugänglich sind, ist ein verlorener Schlüssel Schnee von gestern. 

Das Hotel statuiert ein Exempel, wie Tourismus funktionieren kann: Material und Energie werden so sparsam wie qualitätvoll eingesetzt. Freiheiten im baulichen und betrieblichen Prozess hinterfragen fortlaufend Gewohnheiten und Konventionen. Der Gast muss mit dem zukunftsorientierten Denken der Gastgebenden Schritt halten. Darin liegt ein Experiment, an dessen Gelingen alle beteiligt sind. Und das Spass macht, weil die Sinnhaftigkeit überzeugt. 

Umbau Boutiquehotel B5, Lugano

 

Bauherrschaft
Daniel und Alexandra Hahne, Lugano

 

Architektur/Innenarchitektur
DF_DC , Lugano

 

Landschaftsarchitektur
Thierry Dalcant, Paris

 

Tragkonstruktion
Arx (ehemals Pini Group), Lugano

 

HLK-Planung
Domenico Apollonio, Paradiso

 

Elektroplanung, PV-Planung
Edmondo Franchini, Lamone

 

Bauphysik, Brandschutz
Erisel, Bellinzona

 

Planung: 2019–2022
Bau: 2022–2024

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