Die Erscheinung der Zeit angepasst
Sanierung und Erweiterung Fotomuseum, Winterthur
Das Fotomuseum Winterthur hat nach einer umfassenden Sanierung seit Mai wieder geöffnet. Das Architekturbüro RWPA überzeugte die Beteiligten davon, die ehemalige Fassade des Schulhauses Wallrüti für die Hülle des Erweiterungsbaus wiederzuverwenden.
Eine neue Rampe aus Betonelementen überbrückt die vier Stufen zum Eingang des Fotomuseums Winterthur. Sie ermöglicht nicht nur den rollstuhlgängigen Zugang, sondern wirkt auch als einladende Geste. Ergänzt wird der Eingangsbereich durch ein neues Vordach, das den vorgelagerten Terrassenbereich mit Aussenbestuhlung überdeckt und vor Witterungseinflüssen schützt.
Seine inszenierte Unterseite – mit spiegelndem Metall verkleidet – animiert Handy-Zücker zum Fotografieren. Darüber prangt grossformatig und weithin sichtbar der Name der Institution als filigrane LED-Leuchtschrift: Fotomuseum Winterthur. Die äussere Erscheinung trägt den Duktus einer zeitgemässen Kulturstätte, die angestammtes, aber auch neues, junges Publikum ansprechen möchte.
Metropolitanes Flair
Eine dezente, aber effektvolle Materialkomposition aus Backstein, blaugrau gestrichenem Putz, rostigem Re-Use-Trapezblech und veredelten Details zeichnet ein kunstvoll gestaltetes Bild am ehemals industriellen Stadtrand. Es weckt Erinnerungen an den Pirelli-Hangar Bicocca oder die Fondazione Prada in der Mailänder Peripherie. Doch anders als in Mailand, wo mit dem Profit grosser Firmen Orte für zeitgenössische Kunst geschaffen wurden, repräsentiert das Fotomuseum kein Unternehmen.
Die Gründung im Jahr 1993 geht auf eine private Initiative von Urs Stahel, Walter Keller und George Reinhart zurück, mit dem Ziel, ein zeitgenössisches Museum für Fotografie zu etablieren und eine eigene Sammlung mit internationalem Fokus aufzubauen. Die finanziellen Mittel dafür werden über die Stiftung Fotomuseum Winterthur gesammelt. Zusammen mit der Fotostiftung Schweiz, die ihren Fokus auf Kunstschaffende oder Werke mit Bezug zur Schweiz legt und sich auf der anderen Seite der Grüzenstrasse befindet, bildet sie das Fotozentrum Schweiz.
1993 bezog das Fotomuseum das 1876 als Webereihaus errichtete Gebäude. Es wurde zuvor bereits mehrmals mit zusätzlichen Anbauten für die Weberarbeit, wie etwa dem rückwärtigen Webereisaal, der heute als Ausstellungsraum genutzt wird, erweitert. 1956 wurde die Weberei verkauft. Es folgten Nutzungen als Papierfabrik und Schreinerei.
Mit dem Kauf der Liegenschaft durch Andreas Reinhart vom Handelsunternehmen Volkart im Jahr 1989 zog kulturelles Leben in Form von Zwischennutzungen ein. 1992 wurde die Liegenschaft dauerhaft für die Nutzung durch das Fotomuseum Winterthur um- und das Dachgeschoss für Wohnungen und Ateliers ausgebaut.
Bauen mit Bestand
Das erste Mal seit dem Bezug wurde das Gebäude nun saniert und von RWPA im Jahr 2023 gesamterneuert. Der Ideenfindungsprozess startete aber schon lange vorher: Auf Grundlage einer internen Analyse des Fotomuseums erarbeiteten Architekturstudierende der ETH Zürich in ihrer Masterarbeit im Herbstsemester 2018 Entwürfe für die Erneuerung des Gebäudekonglomerats.
Mit der ausgewählten Arbeit eines Studenten, der tragischerweise später bei einem Unfall verstarb, wurde ein Planerwahlverfahren ausgeschrieben. RWPA konnten dieses für sich entscheiden, mussten jedoch den Studentenentwurf grundlegend überarbeiten. Die Raumanordnung wurde grob beibehalten: eine einladende Terrasse, ein doppelgeschossiges Foyer und ein rückwärtiger Anbau als zweiter Ausstellungsraum. Diese Fläche befand sich bis anhin im Gebäude der Fotostiftung auf der anderen Strassenseite.
Im Dossier Kreislaufwirtschaft haben wir thematisch passende Beiträge für Sie gesammelt.
Im Foyer entfernten die Architekten die Geschossdecke bis zur ersten Stützenreihe. Die nun zweigeschossige Aussenwand erzeugt Transparenz zum Strassenraum. Dafür wurden die Brüstungen der Erdgeschossfenster herausgeschnitten. Vis-à-vis gewähren raumhohe Fenster im Rhythmus der alten gusseisernen Stützen Einblick in die Büros im ersten Obergeschoss.
Darunter befinden sich – wie schon vor dem Umbau – die Kasse und der Museumsshop sowie der Ausstellungsraum im ehemaligen Webereisaal. In der rechten Flanke des Längsbaus sind Workshopräume und das Fotolabor mit integrierter Camera obscura untergebracht.
Vom angrenzenden, blau gestrichenen Kopfbau her ist neu der Salon zugänglich, ein multifunktionaler, mietbarer Raum mit Küche. Im Dachgeschoss wurden neue Wohnungen eingebaut und im Untergeschoss befinden sich Garderoben und Sanitäranlagen sowie diverse Lager- und Technikräume.
White Cube mit rauer Schale
Von der Grüzenstrasse aus nur knapp sichtbar ist die neue Erweiterung neben dem alten Ausstellungsraum. Der sich über 315 m² erstreckende hölzerne Anbau beinhaltet neben der Ausstellungsfläche auch die Anlieferung. Drei nach Norden geöffnete Kasten-Oberlichter erhellen den weiss lasierten Innenraum.
Aussen ist der neue Gebäudeteil mit rostigem Cortenstahl verkleidet. Die Fassadenelemente wurden auf Initiative von RWPA vom 2022 rückgebauten Schulhaus Wallrüti im Norden von Winterthur wiederverwendet. Dafür wurden sie bereits bei der Demontage auf die ungefähre Länge getrimmt und während eines Jahres auf dem Grundstück des Fotomuseums gelagert, bis sie auf der Baustelle auf ihre endgültige Länge zugeschnitten wurden.
Lesen Sie hier den Beitrag zum Schulhaus Wallrüti in Winterthur in TEC21 6/2023.
Entscheidend für das Gelingen dieses Vorhabens war, dass die Stadt Winterthur die Fassadenelemente zur Wiederverwendung freigab und sich die Bauherrschaft auf den unkonventionellen Prozess und die Gestaltung einliess. Denn anders als bei neuen Bauteilen folgt die Planung und Realisierung bei Wiederverwendung nicht etablierten Prozessen, sondern muss individuell entwickelt werden.
Das Resultat überzeugt. In das vormals industrielle Umfeld fügt sich der rostige Anbau ganz selbstverständlich ein. Neben den Oberlichtern öffnen zwei weitere Fenster den Bau nach aussen. Eine hochformatige Öffnung zieht den Blick vom Ausstellungsraum in die Hinterhöfe der Umgebung.
Eine zweite Öffnung im Querformat bringt neu Licht ins Untergeschoss, wo die Exponate präpariert werden. Für diesen Anbau musste allerdings ein dreigeschossiges Wohngebäude weichen. Dessen Wohnraum konnte nicht ersatzweise im neuen Projekt integriert werden.
Zeitgenössische Architektur für zeitgenössische Kunst
Im Mai eröffnete das Museum nach knapp zwei Jahren Umbauzeit wieder. Die erste Ausstellung «The Lure of the Image – Wie Bilder im Netz verlocken» bespielt nun die neuen und alten Räume. Sie setzt sich mit dem Medium Fotografie im Internet als Lockmittel auseinander. Mit der neuen Erscheinung des Fotomuseums ist ebenfalls ein verlockendes Bild entstanden – das einer zeitgenössischen Kulturinstitution.
Sei es der Ort auf der Terrasse, der auf einen Kaffee einlädt, das verspiegelte Vordach, das zur fotografischen Interaktion auffordert, oder auch die Institution selbst, die mit Begleitprogramm für Schulklassen oder mietbaren Räumlichkeiten das Gesamtpaket einer modernen Kulturstätte anbietet.
Durch ihre bescheidene Grösse funktioniert diese Anordnung, ohne aufgeblasen zu wirken. Aussen fügt das Museum einen neuen sichtbaren Baustein mit Rücksicht auf die Geschichte des Orts hinzu – innen ist es genug zurückhaltend, um physischen Raum für die Vermittlung von Fotografie zu bieten.
Dieser Artikel ist erschienen in TEC21 12/2025 «Hüllen mit Haltung»
Sanierung und Erweiterung Fotomuseum, Winterthur
Vergabeform
Planerwahlverfahren
Bauherrschaft
Stiftung Fotomuseum Winterthur
Architektur
RWPA, Winterthur
Bauleitung
Dürsteler Bauplaner, Winterthur
Tragwerkplanung
Preisig Bauingenieure, Winterthur
Elektroplanung
Marquart Elektroplanung, Winterthur
Gebäudetechnik
Balzer Ingenieure, Winterthur
Bauphysik
aundb, Winterthur
Brandschutz
P-Planing, Balterswil-Bichelsee
Landschaftsarchitektur
Robin Winogrond, Zürich
Lichtdesign
mati, Adliswil