Ikonen am Naturreservat
Neubau Limmattaler Energiezentrum (LEZ), Dietikon
Das Limmattal will seine Infrastruktur zur Abfallverwertung reorganisieren. Die Entwürfe für einen langfristigen Umbau schlagen selbstbewusste Architektur und enkeltaugliche Konstruktionen vor.
Neubau Limmattaler Energiezentrum (LEZ), Dietikon
Studienauftrag im selektiven Verfahren
Im Zürcher Vorort Dietikon prallen unterschiedliche Welten aufeinander: Moderne Wohnparks flankieren stillgelegte Gewerbezonen, Einkaufszentren fressen sich in grüne Wiesen und graue Infrastrukturanlagen stehen sogar mitten im Naturschutzgebiet. Einige Gegensätze werden sich hoffentlich auflösen, sobald die lokale Transformation von Brache zu Wohnraum abgeschlossen ist. Andere müssen von Amtes wegen bereinigt werden. So ordnete die Kantonsregierung vor Kurzem an, die regionale Abwasserreinigungsanlage (ARA) aus dem «Antoniloch», einem geschützten Feuchtbiotop von nationaler Bedeutung, auszuquartieren.
Die Kläranlage wird seit über 60 Jahren im Naturreservat unmittelbar neben der Limmat betrieben. Der Zweckverband Limeco, dem neben Dietikon sieben weitere Zürcher Gemeinden angehören, plant einen mittelfristigen Ersatz der Gemeinschaftsanlage auf einer Parzelle gleich daneben, die ausserhalb des Schutzperimeters liegt.
Flächenrochade bis 2050
Der Gemeindeverband hat in derselben Industriezone noch Weiteres vor: Er will zuerst – vor dem Umzug der ARA – die regionale Kehrichtverwertungsanlage (KVA) nach über 50-jährigem Betrieb durch einen Neubau ersetzen. Zusätzliche Fläche für den Ersatz erwarben die Gemeinden auf einer benachbarten Gewerbeparzelle, worauf ein Lagerhaus dereinst zum Abbruch freigegeben wird. Bis 2050 soll die Rochade auf dem insgesamt 2.5 ha grossen Gelände abgeschlossen sein. Der Umbau der Abfall-Infrastruktur wird gleichzeitig zur Einrichtung eines regionalen «Energie-Hubs» genutzt. Aus der Verwertung von festem und flüssigem Siedlungsabfall soll vor Ort ein Energiemix aus CO2-neutraler Fernwärme, sauberem Strom und grünem Gas erzeugt werden.
Masterplan und Mitwirkung
Trotz des umfassenden Flächenabtauschs: Ein Einkaufsgebiet, eine Naherholungszone und das Naturschutzgebiet, in dem seltene Vögel brüten, sind die nächsten Nachbarn des regionalen Ver- und Entsorgungsstandorts. Der städtebauliche Rahmen für die Erweiterung ist vergleichbar eng und konfrontativ wie heute. Deshalb suchte der Zweckverband im selektiven Verfahren nach interdisziplinären Vorschlägen für eine Gesamtplanung der kommenden drei Jahrzehnte. Acht Teams, davon zwei als Ersatz, waren eingeladen, die vielfältigen Anforderungen aus Architektur, Konstruktion, Baulogistik und Aussenraum zu einem Ganzen zu verbinden.
Zur Vorbereitung des Studienauftrags liessen die Gemeinden einen Masterplan und eine Testplanung ausarbeiten. Zusätzliche Ideen wurden in einem vorgängigen Mitwirkungsverfahren mit den Betreibergemeinden, lokalen Naturschutzorganisationen und dem Quartierverein gesammelt. So waren die Wettbewerbsteilnehmer aufgefordert, nicht nur ein langfristiges Entwicklungskonzept für das bauliche Gerüst und die angrenzenden Naturräume zu entwerfen, sondern auch zusätzliche – teilweise gegensätzliche – Wünsche zu erfüllen: zum Beispiel ein «architektonisches Leuchtturmprojekt» mit «zurückhaltender Präsenz».
Selbstbewusst und protzig
Sämtliche sechs Vorschläge für den «Multi-Energy-Hub» in Dietikon entschieden sich für ein Spektakel. Die Industriearchitektur der kommenden Generationen erscheint in den eingereichten Projektvisualisierungen selbstbewusst, monumental und manchmal protzig. Allein die geometrischen Masse sind unübersehbar. Die Anlagen erreichen im Endausbau ein Höhenprofil von mindestens 50 bis 60 m und lassen bisweilen das Wahrzeichen früherer Abfallverbrennungsanlagen, den Abgaskamin, in ihrer Silhouette verschwinden. Konsens herrscht auf jeden Fall, dass eine derart gross dimensionierte Entwicklungsaufgabe didaktisch und plakativ zu manifestieren ist.
Jurybericht und Pläne zum Wettbewerb finden Sie auf competitions.espazium.ch
Das siegreiche Projekt des Teams Penzel Valier erscheint im Endzustand als Ensemble aus orthogonalen Bausteinen, die wie Tetris-Elemente gefügt und gestapelt sind. Gleichzeitig vereint es viele Ideen seiner Konkurrenz zu einem bestmöglichen gestalterischen Kompromiss: Solarpanels überdecken die grossflächigen Aussenwände und überformen auch den Kamin; im Sockelbereich sind die Betonfassaden dagegen begrünt. Der seitliche Verwaltungsbau nimmt weitere Merkmale des zirkulären und klimafreundlichen Bauens auf. Er besteht aus einem Tragskelett mit grossen Spannweiten, das eine flexible Nutzung der Grundrisse erlaubt.
Die Materialisierung mit Holz und Re-Use-Bauteilen dient dazu, den CO2-Fussabdruck bei der Erstellung zu mindern. Überzeugen konnte der Vorschlag auch mit der Umgebungsgestaltung: Der erweiterte Gewerbestandort bettet sich topografisch nahtlos in die Auenlandschaft ein und führt als Pufferzone einen grosszügigen Erlebnisraum mit begehbarem Rundlauf ein.
Inszenierung von Grossfassaden
Die übrigen Vorschläge unterscheiden sich davon in Nuancen bei der Öffnung des Areals und der sorgfältigen Aussenraumgestaltung. Ansonsten bevorzugen auch sie vielfältige Materialkompositionen aus dem aktuellen Repertoire an klimaoptimierten Baustoffen wie Holz und klinkerreduziertem Beton. Die organische Inszenierung der grossformatigen Baukörper ist ebenfalls beliebt. Bisweilen mutet das so üppig an, als ob der technoide Zweck des Standorts hinter einem grünen Vorhang verschwinden soll, wie etwa beim Team Dürig. Was an diesem Vorschlag dennoch gefällt: Die massiven Bausteine sind homogen proportioniert, woraus sich ein stimmiger Gesamteindruck der Grossanlage ergibt.
Für eine dominante Silhouette im Siedlungsbild entschied sich dagegen das Team Graber Pulver. Die vertikale Akzentuierung der Fassaden wertet die Jury aber als zu auffällige «Überhöhung».
Am deutlichsten schert das Projektteam ARGE Jan Kinsbergen und Kivinen Rusanen aus dem Kanon der eingebetteten Architektur aus. Es modelliert das Abfall- und Energiezentrum in Anlehnung an die High-Tech-Architektur der 1980er-Jahre zur «klinischen Fabrik». Als einzige trennt es zudem die Zugänge zum umgestalteten Areal: Der Besichtigungsparcours führt über Röhrengänge direkt den Werkfassaden entlang. Derweil schlängelt sich der Spazierpfad für Passanten ebenerdig durch den naturnah gestalteten Parkgarten.
Die Jury formuliert im Abschlussbericht jeweils viel Lob für die ikonische Gestaltung der Entwürfe. Doch ihr hauptsächliches Augenmerk richtete sich auf den bestmöglichen Plan zum Ausbau und zur Erweiterung der neuen Abfall- und Energieanlagen. Deshalb war die Absehbarkeit von funktionalen Engpässen, betrieblichen und logistischen Unvereinbarkeiten oder Widersprüchen mit dem Naturschutz jeweils das entscheidende Auswahlkriterium.
Ungewisser Endzustand
Was bei diesem Auswahlverfahren nicht zu falschen Schlüssen verleiten darf: Die Ergebnisse des Studienauftrags sind mittel- bis langfristig realisierbar und beruhen teilweise auf groben Annahmen. Die ersetzte und erweiterte KVA wird nicht vor Mitte der 2030er-Jahre den Betrieb aufnehmen. Und die neue ARA zieht nochmals zehn Jahre später um. Ob bis dann die eingeplanten Funktionen überhaupt realisiert werden, ist jedoch ungewiss. Denn sowohl ein Abscheiden von CO2 aus dem Kamin des Kehrichtofens als auch die kommerzielle Produktion von Wasserstoff sind Zukunftstechnologien ohne Praxisbeweis. Gut möglich ist deshalb, dass der nun ausgewählte Entwurf für das erweiterte Abfall- und Energiezentrum niemals seinen visualisierten Zustand verkörpern wird.
Umso wichtiger ist, dass der Infrastruktur-Masterplan des Limmattaler Gemeindeverbands wie beabsichtigt umgesetzt wird. Denn die Studie von Penzel Valier verspricht tatsächlich enkeltaugliche Architektur: Sie soll sich, wie im Wettbewerbsprogramm verlangt, an den Bedarf der nächsten vier Generationen anpassen können. Aus heutiger Erfahrung weiss man, dass frühere Pläne meistens vorzeitig enden: Die Vorgängeranlagen des Limmattaler Zweckverbands werden höchstens 60 Jahre alt.
Projekte in der Auswahl
Team Penzel Valier, Zürich (mit Empfehlung zur Weiterbearbeitung)
mit Krebs und Herde, Winterthur
Team Dürig, Zürich
mit Studio Vulkan, Zürich; OePlan, Rapperswil-Jona; Basler & Hofmann, Zürich
Team ARGE Jan Kinsbergen Architekten, Zürich / Kivinen Rusanen Architects, Helsinki
mit MASU Planning, Kopenhagen; Dr. Neven Kostic, Zürich
Team ARGE EM2N, Zürich /
Enzmann Fischer, Zürich
mit Vogt Landschaftsarchitekten, Zürich; ZPF Ingenieure, Basel
Team Fruehauf, Henry & Viladoms, Lausanne
mit Atelier ADR, Genf; Synaxis, Zürich
Team Graber Pulver Architekten, Zürich
mit mavo, Zürich; Schnetzer Puskas Ingenieure, Zürich
Bauherrschaft
Limeco, Dietikon
Verfahrensbegleitung
TBF + Partner, Zürich
Fachjury
Christoph Rothenhöfer, Architekt, Zürich (Moderation); Kees Christiaanse, Architekt, Zürich; Erika Fries, Architektin, Zürich; Severin Lüthy, Stadtplanung Dietikon; Maurus Schifferli, Landschaftsarchitekt, Bern
Sachjury
Stefano Kunz, Präsident VR Limeco (Vorsitz); Anton Kiwic, VR Limeco; Patrik Feusi, Geschäftsführer Limeco; Markus Bircher, Leiter Strategieprojekte Limeco