Ein Umzug für den Re-Use
Eine demontierte Beachvolleyballhalle aus Bern wird zur neuen Feuerwehrkaserne im Maggiatal.
Re-Use im Maggiatal: Die Tessiner Gemeinde Lavizzara baut eine Berner Sporthalle neu auf – als Feuerwehrkaserne. Initiiert hat das Projekt der Verein Beachvolleyball Bern, der seine nicht mehr benötigte Stahlhalle im Frühjahr 2024 mit einem Call for Interest auf LinkedIn für Fr. 25 000 verkaufte – im Sinne der Kreislaufwirtschaft.
Ursprung in Bern
Über 16 Jahre betrieb der Verein Beachvolleyball Bern an der Goumoënsstrasse 50 das Beachcenter mit neun Aussen- und drei Hallenplätzen, das auch das nationale Trainingszentrum der Schweizer Beachvolleyball-Nationalmannschaft war. Nun musste die Halle einem neuen Schulhaus der Stadt Bern weichen. Zwar war der Verein Eigentümer der Halle, doch das Gebäude stand auf städtischem Grund und war 2009 im Baurecht errichtet worden. In weiser Voraussicht wurde die Stahlkonstruktion damals so geplant, dass sie demontiert und an einem anderen Ort wieder aufgebaut werden kann. Selbst brauchte der Verein die Halle nicht, da er eine grössere plante.
Aus einem Unglück heraus
Die Gemeinde Lavizzara bekundete im Juli ihr Interesse, denn ein verheerendes Hochwasser hatte kurz vorher am 30. Juni 2024 die bestehende Kaserne in Prato Sornico überflutet und schwer beschädigt. Ein neues Gebäude sollte schnellstmöglich westlich des Dorfs Peccia entstehen, zentral im Gemeindegebiet von Lavizzara – der mit 187 km² flächenmässig grössten Gemeinde des Kantons Tessin. Es handelt sich bei diesem ebenen Bauplatz um ein im Zonenplan als Industriezone ausgeschiedenes Areal, das bereits von lokalen Betrieben gewerblich genutzt wurde und kaum von Naturgefahren betroffen ist.
Die Architekten vom Studio Urbane Landschaften und die Bauingenieurinnen von Zanini Gozzi waren auf das Re-Use-Projekt in Bern aufmerksam geworden und arbeiteten sofort auf Eigeninitiative ein Vorprojekt aus – in Abstimmung mit den Anforderungen der Gemeinde Lavizzara. Dabei konnten sie sich auf einen im Vorfeld selbst initiierten Ideenprozess stützen: Für die Weiternutzung des Baus hatten sie bereits ein Kino, eine Mehrzweckhalle oder mehrere kleinere Veranstaltungsräume angedacht. In jedem Fall handelte es sich um neu konfigurierte Einheiten. Aus der bestehenden Halle konnte also alles entstehen – auch eine Feuerwehrkaserne.
Aus insgesamt 30 Bewerbungen für die Übernahme des Stahlbaus überzeugte das Konzept für Lavizzara am meisten. So begann im Herbst die konkrete Planung im Auftrag der Gemeinde im engen Zeitkorsett, denn die Halle musste zwingend im Zeitfenster vom 24. März bis 18. April 2025 demontiert werden.
➔ Mehr zum Thema in TEC21 14/2025: «Zweiter Einsatz für Stahl – Re-Use von Stahlbauteilen»
Formtransformation und neuer Lastfluss
Jedes Bauteil – von den Stahlprofilen bis zu den Sandwichpaneelen und den Oberlichtern – wurde systematisch erfasst, nummeriert, palettiert und dokumentiert. Eine solch präzise Vorbereitung ist essenziell für die spätere Wiederverwendung. Insgesamt konnten 740 m² Fassaden- und 580 m² Dachpaneele (Typ Montana Sandwich, 100 mm bzw. 120 mm) gesichert werden. Auch Schiebetore, Beleuchtungskörper und Lüftungselemente werden wiederverwendet, teilweise in neuer Konfiguration: Aus Oberlichtern werden vertikale Fassadenelemente, Fassadenelemente mutieren zu Trennwänden.
Die Wiederverwendung der Stahlbauteile des Tragwerks erfolgte ebenfalls nicht eins zu eins, auch wenn sich die Form des neuen Gebäudes an der ursprünglichen Halle in Bern orientiert. Die ehemalige Sporthalle mit einer stützenfreien Spannweite von 30 m × 30 m war als temporäre Leichtbaukonstruktion konzipiert worden.
Am neuen Standort in Peccia, wo sie künftig als Feuerwehr- und Mehrzweckhalle dienen wird, gelten jedoch deutlich höhere statische Anforderungen: Auf 800 m ü. M ist mit einer Schneelast von 400 kg/m² zu rechnen, was mehr als doppelt so viel ist wie in Bern. Das machte eine umfassende statische Neubemessung notwendig.
Die Stahlstruktur erfährt daher eine Formtransformation: Die Halle wird längs geteilt und neu in den Abmessungen 15.2 m × 32.4 m mit fünf Achsrastern à 6.4 m aufgebaut. Sie orientiert sich entlang der Kantonsstrasse im Norden, wo auch Zufahrten und Vorplatz liegen. Im Inneren entstehen teilweise zwei Zwischengeschosse mit sanitären Anlagen und beheizten Räumen nach Minergie-Standard.
Die Umformung des Gebäudes vom quadratischen zum rechteckigen Grundriss erforderte eine Neukomposition der Stahlbauteile. Auf Grundlage sämtlicher vorhandener Tragwerkspläne – selbst die Stücklisten lagen alle vor – entwickelten die Ingenieure ein neues statisches Konzept mit reduzierten Spannweiten und kleinteiliger Rhythmisierung der Tragelemente. Die Re-Use-Stahlstruktur mit einem Gesamtgewicht von rund 40 t wurde dabei systematisch überprüft und die Bauteile entsprechend ihrer Tragwiderstände neu positioniert.
«Wer an starren Denkmodellen festhält, hat bei einem solchen Vorhaben kaum eine Chance», erläutert Cristina Zanini Barzaghi, die Bauingenieurin des Projektes. Die Spannweiten der Hauptträger beziehungsweise der Riegel wurden konsequent verringert und die Pfetten auf gleicher Länge doppelt verlegt – so liess sich die Schneelast mit den gegebenen Profilen aufnehmen.
Zudem wurden die Riegel teilweise zu Trägern, ohne dass die Profile hätten verändert werden müssen. Eine Stütze mit einer Rahmenecke – Teilstück des Rahmens der Berner Halle – setzen die Planenden zum Beispiel neu als Stütze mit Konsole ein und verwenden dieses Bauteil für die Montage der Re-Use-Tore, deren Neupreis bei rund Fr. 20'000 pro Stück läge.
Nach diesem Konzept können 24 t der ursprünglichen Struktur unverändert übernommen werden. Nur 11 t müssen angepasst und 4 t zusätzlich ergänzt werden. Weitere 8 t Bauteile der Berner Halle werden als Reserve für künftige Erweiterungen oder Reparaturen eingelagert. Insgesamt werden 43 t Stahl wiederverwendet.
Logistik auf 320 Kilometer
Der Transport der gesamten Hallenstruktur von Bern ins Maggiatal war logistisch anspruchsvoll und erfolgte in mehreren Etappen per Tieflader. Insgesamt wurden rund zehn Lastwagenladungen benötigt – davon vier für die Stahlbauteile und sechs für die Fassadenelemente. Der Transport – es war ein Spezialtransport notwendig – verlief grösstenteils problemlos. Auf dem letzten Streckenstück nach Peccia gibt es zwei sehr schmale und steile Wenden. Auf diese Passage waren die maximalen Modulabmessungen abgestimmt.
Am neuen Standort werden die Bauteile demnächst baulich angepasst und wieder montiert.
Die Wiedererrichtung erfolgt in zwei Etappen: Zunächst wird ein überdachter Unterstand für Einsatzfahrzeuge realisiert, anschliessend folgen die Innenräume mit Sanitäranlagen, Umkleiden und Schulungsbereich.
Der neue Bau umfasst ein Volumen von 3700 m3, davon entfallen etwa 160 m2 auf beheizte Nutzflächen. Die Gesamtkosten betragen rund 1.3 Mio. Fr. inklusive MwSt. – nicht viel günstiger als ein Neubau. Allein schon die abgelegene Lage auf der anderen Seite des Gotthards verteuert den Wiedereinsatz der Bauteile. Noch fehlen rund Fr. 400 000; bis zur endgültigen Kreditfreigabe lagern die Bauteile auf dem Industrieareal in Peccia sowie in einer Werkhalle in Barbengo. Die Gemeinde Lavizzara kümmert sich derweil mithilfe der Projektverfassenden um die noch ausstehende Finanzierung.
Formsuche mit gegebenen Bauteilen
Re-Use bedeutet, mit dem zu arbeiten, was vorhanden ist – design by availability. Es ist ein nicht linearer Prozess, der Überzeugung, Erfahrung und gemeinschaftliche Entscheidungen im Planungsteam verlangt. Vieles entsteht situativ, ohne dass von Anfang an alle Antworten bekannt waren.
Die Stahlträger befinden sich in überraschend gutem Zustand, die Fassadenelemente zeigen Gebrauchsspuren. Doch gerade in der Auseinandersetzung mit bestehenden Bauteilen entsteht eine eigenständige architektonische Sprache, abgestimmt auf statische Rahmenbedingungen. Das Projekt wird so zum sichtbaren Zwischenstand: Was war, was ist, was noch werden kann.
«In diesem Sinn ist es eine Art Wiedergeburt des Materials», sagt der projektierende Architekt Gaetano Castiello. Anpassungen wie neue Fensteröffnungen sind notwendig, etwa für Tageslicht in Arbeitsräumen – ein gesetzliches Muss. Re-Use bedeutet Anpassung: an Funktion, Gesetzgebung und Zeitgeist. Und es bedeutet, serielle Industrieprodukte in einen neuen, rhythmisch abgestimmten Kontext zu setzen.
Die grosse Herausforderung liegt darin, wirtschaftliche, technische und gestalterische Anforderungen zusammenzubringen. Re-Use-Projekte sind heute noch selten effizient im klassischen Sinn. Aber sie setzen ein Zeichen – für ressourcenschonendes Bauen, für pragmatische Lösungen, für zukunftsorientiertes Denken.
Übrigens: Der Verein Beachvolleyball Bern erhält sein neues Zuhause beim Weyermannshaus-Viadukt – einem nachhaltigen Holzbau, der später umgenutzt statt rückgebaut wird – im Geist der Kreislaufwirtschaft.
Re-Use Beachvolleyballhalle, Bern / Lavizzara
Bauherrschaft
Gemeinde Lavizzara
Architektur
Studio Urbane Landschaften, Basel
Studio for Cosmopolitical Models, Lissabon
Bauingenieurwesen (Statik und Koordination)
Zanini Gozzi, Paradiso
Beratung und Logistik in Bern
Skript Architekten, Bern (Projekt Beachvolleyballhalle)
Brandschutz, HLKS
VRT, Taverne
Stahlbau Demontage
Stephan, Givisier
Stahlbau Aufstockung
Officine Ghidoni, Riazzino
Stahlbau Transporte
Corrado Mignami, Peccia
Weitere Beteiligte
Decarli & Pinoja, Minusio
Galli Engineering, Rivera