Die Entwicklungschancen erkennen und ortsspezifisch nutzen
Jürgen Johner kennt als Leiter der Abteilung Entwickeln Planen Bauen nicht nur das gebaute Allschwil wie seine Westentasche. Er weiss auch an jedem Ort zu erzählen, was dort für die Zukunft alles geplant ist. Als grösste Entwicklungschance sieht er die Aufwertung des Gebiets Ziegelei-Letten.
Die Gemeindeverwaltung befindet sich in einem Neubau neben Post, Feuerwehr und der historischen Villa Guggenheim. Ich treffe Jürgen Johner vor unserem Rundgang in einem der Sitzungszimmer der Verwaltung. An der Wand hängt der aktuelle «Zonenplan Siedlung». Die Revision der Zonenvorschriften steht an, denn die Verordnung entspricht den dynamischen Entwicklungen und raumplanerischen Anforderungen nicht mehr.
Basis für die Anpassungen ist das räumliche Entwicklungskonzept REK und der kantonale Richtplan. In diesem wird Allschwil dem Raumtyp «Verdichtungsraum der inneren Korridore» zugeordnet, der stadtnahes Wohnen mit kurzen Wegen vorsieht. Allschwil steht mitten im Wandel, die neuen Zonenvorschriften sollen die aktuellen Bedürfnisse der Gemeinde widerspiegeln und Chancen für künftige Entwicklungen eröffnen.
Im Fokus der Revision steht darum die qualitative Innenentwicklung mit attraktiven Freiräumen. Parallel dazu wird der «Strassennetzplan Siedlung» überarbeitet. Nach der Revision der Zonenordnung sollen Bauvorhaben vornehmlich nach den Vorgaben der Regelbauweise gesteuert und Sondernutzungsplanungen den komplexeren Ausnahmefällen vorbehalten sein. Der aktuelle Zonenplan weist gegen 30 rechtsgültige Quartierpläne aus.
«Der Vorteil eines Quartierplans ist die Möglichkeit, die Qualität genauer lenken zu können», sagt Johner. «Als Planungsinstrument ist er aber starr und im Prozess sehr aufwendig.» Das Quartier um den historischen Dorfkern ist auf dem Zonenplan ausgespart, es hat einen eigenen, detaillierteren Teilzonenplan. Auch dieser soll in einem nächsten Schritt revidiert werden. Blau hinterlegt sind die beiden grossen Gewerbegebiete Bachgraben und Ziegelei-Letten, grün die Freiräume.
Wertvolle öffentliche Räume
Wir lassen die Gemeindeverwaltung hinter uns und gelangen in wenigen Schritten zum Wegmattenpark, einem neu geschaffenen Freiraum in Allschwil. 2012 wurde das Projekt mit Park und Wohnbauten an der Urne angenommen. Dass die Hälfte des Parks weiterhin eine strategische Baulandreserve ist und Mitwirkung Teil des Prozesses war, half für die Zustimmung. Die Bevölkerung des dichter werdenden Siedlungsgebiets nutzt den ersten Stadtpark Allschwils rege.
Auch die angrenzende Bachgrabenpromenade ist ein beliebter Naherholungsraum. Die naturnahe Gestaltung der Böschung fördert die Biodiversität. Wir queren die Promenade und gelangen nach den Sportplätzen zum Jugendzentrum «Freizeithaus» am Hegenheimermattweg. Der Pavillon wurde nach einem vereinfachten Wettbewerbsverfahren partizipativ entwickelt und 2024 fertiggestellt.
«Als Gemeinde wollen wir in den Verfahren mit gutem Beispiel vorangehen. Wir legen grossen Wert auf die Qualität der gemeindeeigenen Bauten; sie haben Strahlkraft auf die Umgebung und wirken als Vorbilder für private Investoren», sagt Johner. Die Querungen von der Promenade zum Bachgrabengebiet am Hegenheimermattweg will die Gemeinde gemäss ihrem Fuss- und Veloverkehrskonzept zur Förderung nachhaltiger Mobilität weiter verbessern. Der Hegenheimermattweg ist in diesem Konzept eine wichtige Verbindung und wurde 2021 neu gestaltet. Jetzt gibt es entlang der Strasse viel Platz für Velofahrer und Fussgängerinnen.
Von Riegelhäusern umgeben
Über einen Fussweg gelangen wir zu den Riegelhäusern im historischen Zentrum. Die Riegel eines Hauses sind mit kleinen Zahlenschildern versehen. «Dieses Haus wurde aus dem Elsass hierher transportiert, es war dort vom Abbruch bedroht. Das ist Re-Use!», merkt Johner an. Der rechtskräftige Teilzonenplan verlangt im geschützten Ortskern Riegelbauten.
Wo die Riegel zwischenzeitlich verputzt wurden, sollen sie wieder freigelegt werden. Etwas später stehen wir vor einer Neuinterpretation eines Riegelhauses, das sich über die Massstäblichkeit und das Konstruktionsprinzip ins Ortsbild einfügt, ohne historisierend zu sein; die Felder zwischen den Riegeln sind mit Holz ausgefacht (Bild unten; Degelo Architekten).
Der nahe Dorfplatz wird von traditionellen Riegelbauten mit Gastronomiebetrieben gerahmt. Doch die Mitte des Platzes ist durch einen Strassenkreisel mit Wendeschlaufe des Trams und Bushaltestellen besetzt. Für Aufenthalt bleibt kein Raum, erst recht nicht, wenn Tram und Bus gleichzeitig halten. «Wir möchten einen Dorfplatz, der durch seine Aufenthaltsqualität ein attraktives Zentrum für die Bevölkerung bildet», sagt Johner.
Gemeinsam mit dem Kanton wurden unterschiedliche Varianten geprüft. Im ersten Anlauf vermochte jedoch keine davon alle Bedürfnisse befriedigend zu lösen. Eine Überarbeitung soll nun mit reduzierten verkehrstechnischen Anforderungen auch Aufenthaltsqualitäten und Platz für Veranstaltungen schaffen. Für uns geht es weiter in Richtung Binningerstrasse und ehemaliges Ziegeleiareal.
Zukunft Ziegelei-Letten und Binningerstrasse
Das Gebiet Ziegelei-Letten bietet neben dem Life-Science-Cluster Bachgraben die grössten Entwicklungschancen für Allschwil. Es ist im kantonalen Richtplan seit 2016 als Transformationsareal festgelegt. Heute gewerblich geprägt (Bild oben rechts), sieht der neue Teilzonenplan der Gemeinde eine gemischte Zone vor. Die aktuell vom Kanton projektierte Umgestaltung der Binningerstrasse mit Tramverlängerung und zentralem Grünraum schafft Aufenthaltsqualität: «Die Binningerstrasse ist eine bedeutende regionale Verkehrsachse und gleichzeitig auch die Lebensader des Entwicklungsgebiets selbst.
Aus dem Gebiet soll ein starkes Stück Stadt werden.» Die bessere Erschliessung mit öffentlichen Verkehrsmitteln und eine sichere und attraktivere Langsamverkehrslösung gehört zur Verdichtung dazu. Die Wendeschlaufe des Trams kann auf dem heutigen Areal des Sportplatzes der Sekundarschule Platz finden, da dieser vom Kanton im Zusammenhang mit einem Neubau ohnehin verschoben wird. Während des Rundgangs nimmt der Feierabendverkehr zu.
Durch eine effiziente Tramverbindung zum Bahnhof Basel SBB könnte dieser reduziert werden, ein einziges Combino-Tram transportiert bis zu 240 Fahrgäste auf einmal. Auf der Höhe von Migros und Coop sind die neuen Haltestellen «Paradies» und «Letten» verortet. Doch zuerst muss das kantonale Verkehrsprojekt als Landratsvorlage die nächsten politischen Hürden nehmen. Sicher ist, dass sich das Gebiet rund um die Binningerstrasse aufgrund der attraktiven Stadtnähe in absehbarer Zukunft entwickeln wird.
Wir queren einen grossen Parkplatz, der im Zuge der Strassenumgestaltung unter den Boden verlegt werden soll, was Raum für einen attraktiven öffentlichen Platz schaffen wird. Ein entsprechender Landschaftsarchitektur-Wettbewerb hat bereits stattgefunden. Dann biegen wir zu den Ziegeleihallen am Siedlungsrand ab. Von der bestehenden Bausubstanz soll so viel wie möglich erhalten bleiben. Der Lehm für die rötlichen Backsteine wurde um 1900 auf dem Areal geschürft und die Steine in den Öfen vor Ort gebrannt. Das schafft Identität – und spart Energie.
Doch die Hallen stehen leer, weil der Brandschutz die Nutzung aus Sicherheitsgründen verbietet; auch ist die Tragstruktur im Innern ein unterdimensionierter Holzbau. Ohnehin herrscht wenig Nachfrage nach derartigen Gewerbeflächen. Aber soll man die Gebäudehüllen erhalten? «Früher hätte ich daran gezweifelt», meint Johner, «doch angesichts der Ressourcenschonung bin ich heute davon überzeugt.» Hinter den Hallen an den Geländekanten hat sich ein verstecktes Paradies für Mensch und Natur entwickelt, doch wir verlassen den verwunschenen Ort, umrunden die Hallen und stechen wieder in ein Wohnquartier.
Verdichtet Wohnen
Zwischen älteren Wohnbauten stehen neue Siedlungen. Es sind unaufgeregte, etwas grössere und höhere Mehrfamilienhäuser mit dazwischenliegenden Freiräumen. Die neuen Zonenvorschriften zielen darauf ab, die Wohn- und Mischgebiete massvoll weiterzuentwickeln und den Charakter der Wohnquartiere zu erhalten.
Mit dem neuen Zonenplan führt Allschwil eine Grünflächenziffer für Wohnquartiere ein. Auch die Bäume sollen in Zukunft besser geschützt werden. Bei Neu- und Ersatzbauten sowie grösseren Entwicklungen sollen auf Parzellen ab 800 m2 mindestens 15 % der Grundstücksfläche von Baumkronen überdeckt sein.
An einer Platanenallee vorbei schreiten wir zurück Richtung Verwaltung. Johner zeigt unterwegs nach rechts und links auf Parzellen, auf denen bald verdichtet wird. Auf einigen stehen auch Hochhäuser aus den 1970er-Jahren, meist zurückversetzt in der Parzellenmitte. «Heute werden Hochhäuser als markante Punkte selbstbewusster an die Parzellengrenze entlang der Strasse platziert.» Das kommunale Hochhauskonzept definiert Anforderungen und qualitative Kriterien für neue Hochhausstandorte und die Hochhäuser selbst.
Sie sollen besondere städtebauliche Situationen definieren. Die ausgewiesenen Eignungsräume befinden sich entlang der beiden Erschliessungsachsen am Bachgraben und im Bereich der Ziegelei-Letten. Und wie soll sich prinzipiell Allschwils Charakter entwickeln? «Allschwil soll eine selbstbewusste Vorortstadt mit starker eigener Identität werden. Dazu werden die unterschiedlichen bestehenden Qualitäten geschärft und mit neuen ergänzt. Die Entwicklungschancen wollen wir ortsspezifisch nutzen.»
Publikationsreihe «Dynamische Gemeinden»
Schweizweit erleben derzeit Gemeinden unterschiedlicher Grösse eine teilweise schnelle, umfassende und tiefgreifende Transformation. In dieser Entwicklung sind sie gesetzlich einer haushälterischen Nutzung des Bodens und gesellschaftlich einer qualitätsvollen Veränderung des gebauten Lebensraums verpflichtet. Für eine in jeder Hinsicht nachhaltige Siedlungsentwicklung nach innen sprechen aber noch weitere Gründe.
Die Publikationsreihe «Dynamische Gemeinden» porträtiert Gemeinden, die sich in einer besonders starken Innenentwicklung befinden, zeigt, welche städtebaulichen, verkehrsplanerischen und sozialräumlichen Ziele sie dabei verfolgen, lässt Akteurinnen und Akteure zu Wort kommen, reflektiert die spannenden Transformationsprozesse und identifiziert wichtige Zukunftsthemen.
Band 1: Allschwil BL