Zirkularität zum Anfassen
In einem kleinen, leerstehenden Fabrikgebäude in Zürich-Oerlikon geschieht Grosses: von Tüfteleien mit regenerativen Baumaterialien über die Wiederverwendung von ganzen Bauteilen bis hin zu einer schweizweiten Premiere.
Der Verein Labör betreibt ein auf sechs Jahre befristetes Zwischennutzungsprojekt in einer ehemaligen Kupferschmiede auf dem Areal der Maschinenfabrik Oerlikon, gleich hinter dem Bahnhof Oerlikon. Die Stadt Zürich hat das Areal kürzlich erworben und plant darauf nun Wohnungen, Gewerbe- und Kulturnutzungen sowie Freiflächen.
Labör ist ein Experimentierort und Lernraum zu den Fokusthemen Zirkularität, Kultur und Gemeinschaft. Mit dieser Ausrichtung baut der Verein das rund 135 m2 grosse Fabrikgebäude ressourcenschonend und wenn möglich mit natürlichen oder gebrauchten Materialien um.
Erstmalige Anwendung von Hanf-Lehm im Spritzverfahren
Greifbar macht Labör seine Vision zudem durch Partnerschaften mit Gleichgesinnten aus Forschung und Lehre sowie mit Fachverbänden und der Industrie. So fanden Mitte April mehrtägige Workshops zum Thema Dämmen mit den jahrtausendealten Baumaterialien Hanf, Lehm und Kalk statt.
Die einzelnen Workshop-Blöcke wurden für den CAS Regenerative Materials – Essentials am Lehrstuhl Nachhaltiges Bauen der ETH Zürich sowie für die Mitglieder der IG Lehm (Dachverband für Lehmbauschaffende der Deutschschweiz) organisiert; der Verein Isoterra demonstrierte die Eignung von Lehm als ideales Bindemittel für Hanf-Bio-Aggregate. Weitere Unternehmen unterstützten die Workshops mit der Bereitstellung von Baumaterialien.
Obschon Isoterra mittlerweile auf eine fünfjährige Erfahrung mit über 20, vorwiegend im Elsass realisierten Bauten für öffentliche und private Bauherrschaften zurückblicken kann, beinhaltete der Einsatz in Oerlikon ein Novum: Labör ist die erste Baustelle in der Schweiz, bei der das Hanf-Lehm-Gemisch mittels Spritzverfahren aufgetragen wurde.
Eine Hanf-Lehm-Dämmung bindet mehr CO2, als sie bei der Produktion verbraucht, ist komplett wiederverwendbar, reparierbar und – aufgrund der natürlichen Materialien Lehm und Hanfstroh – kompostierbar. Darüber hinaus bietet Hanf-Lehm einen robusten Kompromiss zwischen Dämmleistung (Lambda-Wert ca. 0.07 W/mK) und Masse (320 kg/m³) mit einer sehr hohen thermischen Phasenverschiebung.
Zudem hat der Baustoff die Fähigkeit, latente Wärme zu speichern, wirkt als hervorragender Puffer für Luftfeuchtigkeit und ist stark diffusionsoffen. Die Anwendung in massiven Wänden oder als Vorsatzschale eignet sich bestens für Renovationen auf allen Arten von Untergründen. Die Oberfläche der Dämmung kann ohne jegliche Vorbehandlung sowohl innen als auch aussen mit Lehm- oder Kalkputzen verputzt werden.
Experimentieren und partizipieren im Labör
Der Workshop im und am Gebäude des Labörs erlaubte, verschiedene Aspekte im Umgang mit regenerativen Baustoffen direkt zu erproben. Konkret wurden zwei unterschiedliche Applikations-Methoden angewendet: Das zuvor erwähnte Spritzverfahren, bei dem der Hanf-Lehm direkt an der Wand gemischt wird, und das Stampfverfahren, bei dem sich das überschüssige und wieder abgeschabte Material aus dem Spritzverfahren weiterverwenden lässt. Eine weitere Wand dämmten die Workshop-Teilnehmenden mit Bio-Ziegelsteinen aus Hanf-Kalk, die Dachschrägen mit Naturfasern.
Während der CAS der ETH generell den Fokus auf nachhaltige Materialien legt, konzentrierten sich die zweitägigen Workshops für die IG Lehm speziell auf den Baustoff Hanf-Lehm. Die partizipative Umsetzung liess viele Fachpersonen am Wissen teilhaben und vermochte das Labör bereits im Umbau ganz im Sinne seiner Vision zu beleben.
Durch den halböffentlichen Charakter kann man den Raum fortan als Showroom und Anwendungsbeispiel für die regenerativen Baustoffe Hanf-Lehm und Lehm-Kalk verwenden und die drei Applikations-Arten am selben Objekt miteinander vergleichen.
Das Labör wurde initiiert von Mona Neubauer, Alexander Bradley, Nora Gailer, Corinne Widmer und Patrick Meng.